Von Erben, Köttern und Brinksitzern - bäuerliche Hofesqualität im Emsland.
(Bernd Josef Jansen)
In Kirchenbüchern, Steuerlisten und anderen Akten finden sich für die Berufsgruppe der Bauern eine Fülle von verschiedenen Bezeichnungen, die für heutige Ohren fremd und unverständlich klingen. Was man heute unter der Bezeichnung "Bauern" oder "Landwirte" zusammenfasst, wurde in früherer Zeit mehr oder weniger streng in verschiedene Klassen (Hofesqualitäten) unterschieden. Hierbei musste die nominelle Hofesqualität nicht immer die tatsächliche wirtschaftliche Situation eines Hofes widerspiegeln, da diese auch von der persönlichen Tüchtigkeit des Bauers abhing.
Die Spitze der bäuerlichen "Standespyramide" bildeten die Beerbten oder Vollerben. Diese Höfe gehörten der ältesten Besiedlungsschicht an und waren in der Regel schon vor 1200 entstanden, den Zeitpunkt der Gründung der meisten Vollerben kann man mit gutem Recht schon in die Zeit vor der Eroberung Sachsens durch Karl den Großen Ende des 8. Jh. ansetzen. Zum persönlichen Besitz eines Bauern gehörte die Hofstelle mit Garten, das Ackerland und die Wiesen zur Heunutzung. Weiden, Moor, Heide und Wald (zusammengefasst unter dem Begriff "Gemeine Mark") waren gemeinschaftlicher Besitz, da eine Parzellierung meist schwierig oder unrentabel war und die Größe der Flächen durch Rodung oder Trockenlegung auch variieren konnten. Die Gemeine Mark durfte demnach von allen Bauern des Ortes genutzt werden. Um eine Überbeanspruchung der Mark zu verhindern, war aber z.B. die Zahl des auf den Gemeindewiesen zugelassenen Viehs beschränkt. Die Vollerben besaßen eine volle Gerechtigkeit zur Nutzung der Mark. Durch die Teilung eines Vollerben konnten mit der Zeit Halberben, Viertelerben und sogar Achtel- und Sechzehntelerben entstehen. Deren Nutzungsrecht war dementsprechend geringer. Gleichzeitig zahlten die Halberben natürlich auch nur die Hälfte der bei den Beerbten veranschlagten Steuern und Abgaben.
Die nächste sich bildende bäuerliche Schicht war die der Kötter, die untereinander noch als Erbkötter oder Pferdekötter und Markkötter unterschieden wurden. Die Erbkötter wurden im Gegensatz zu den Markköttern wohl auch deswegen Pferdekötter genannt, weil nur sie sich noch die teuren Pferde als Zugtiere leisten konnten. Kötter besaßen nur geringe Rechte an der Mark. Besteuert wurden die Erbkötter ungefähr wie ein Halberbe, Markkötter zahlten noch etwa 19% des Steueranteils eines Vollerben.
Spätestens bis etwa 1500 war auch die Entstehung der Höfe der Brinksitzer abgeschlossen. Ihr Hofraum befand sich meist nicht mehr im Dorf selbst, sondern auf dem Brink außerhalb eines Dorfes - daher ihr Name - und bestand aus Acker und Weideflächen, die ihnen von den alten Vollerben überlassen oder verkauft worden waren. Zugtiere wie Pferde oder Ochsen besaßen die Brinksitzer nicht, auch ihre Anbauflächen waren meist so klein, dass sie neben der Landwirtschaft oft noch ein Gewerbe betrieben. Auch in der Namensgebung schlägt sich dieser Trend wieder; typische Namen von Brinksitzern sind Schomaker, Rademacher, Schnieder oder Schmidt. Brinksitzer wurde besteuert wie Kötter ohne Pferd. Markgerechtigkeit besaßen die Brinksitzer nicht.
Nachdem spätestens um 1500 die Ausdifferenzierung der bäuerlichen Betriebe in Erben, Kötter und Brinksitzer abgeschlossen war, blieb für alle anderen an Ackerbau und Viehzucht interessierten oder mangels Alternative gezwungenen Personen nur noch die Möglichkeit, bei den bereits bestehenden Höfen eine Fläche zu pachten. Der sich nun bildende Stand der Heuerleute bewegte sich in einer kärglichen Mischform zwischen selbständiger Landwirtschaft und Landarbeit. Zunächst scheinen diese Heuerleute in leer stehenden Altenteilen (Leibzuchten genannt) eines Hofes, in Speichern oder in den üblicherweise wegen der Brandgefahr etwas entfernt von Hof stehenden Backhäusern gewohnt haben, weshalb sie in den Steuerlisten auch als Leibzüchter und Backhäusler auftreten. Später wurden bei großen Höfen eigene Heuerhäuser angelegt. Dafür, dass die Heuerleute vom Bauern eine Unterkunft mit angegliedertem Stall für ihr Vieh sowie eine kleine Ackerfläche zur Verfügung gestellt bekamen, mussten sie eine vorher vertraglich bestimmte Anzahl von Tagen auf dessen Flächen arbeiten. Durch zusätzliche Arbeiten bestand durchaus noch die Möglichkeit eines Nebenverdienstes, jedoch war der Heuermann vom Bauern auch relativ abhängig, da Heuerverträge oft nur für ein Jahr abgeschlossen und immer wieder verlängert wurden. Das Sprichwort "Wenn der Bauer pfeift, muss der Heuermann springen" zeigt dieses Dilemma. Als mit Aufteilung und Allodifizierung der Marken im 19.Jh. auch noch die Möglichkeit wegfiel, das eigene Vieh mit dem des Bauern auf die Weide zu treiben, war der Niedergang des Heuerlingswesens gekommen. Viele Heuerleute suchten neue wirtschaftliche Perspektiven durch Auswanderung in die benachbarten Niederlande, die USA oder sie zogen in die aufstrebenden Städte des Ruhrgebietes, um dort in das Proletariat der Fabrikarbeiter aufzugehen.
English version:
Of "Erben/Beerbte", "Kötter", and "Brinksitzer" - Rural Farm Quality in Emsland.
In church records, tax lists, and other documents, there is a wealth of different terms for the profession of farmers, which sound foreign and incomprehensible to modern ears. What is today collectively referred to as "farmers" or "agriculturists" was, in earlier times, more or less strictly divided into different classes (farm qualities). In this context, the nominal quality of the farm did not always have to reflect the actual economic situation of the farm, as it also depended on the personal competence of the farmer.
The pinnacle of the peasant "social pyramid" was formed by the "Beerbten or Vollerben". These farms belonged to the oldest layer of settlement and were generally already established before 1200; the founding date of most Vollerben can rightly be placed in the period before the conquest of Saxony by Charlemagne at the end of the 8th century. The personal property of a farmer included the homestead with garden, arable land, and meadows for haymaking. Pastures, moors, heath, and forests (collectively referred to as "Gemeine Mark" (common pasture) were communal property, as parceling them was usually difficult or unprofitable, and the size of the areas could also vary due to deforestation or drainage. The common pasture was therefore to be used by all the farmers of the village. To prevent overexploitation of the common pasture, for example, the number of livestock allowed on the communal meadows was limited. The Vollerben possessed full rights to use the common land. Through the division of a Vollerben-farm, Halberben (half heirs), Viertelerben (quarter heirs), and even eighth and sixteenth heirs could emerge over time. Their right of use was correspondingly lesser. At the same time, the Halberben/half-heirs naturally also only paid half of the taxes and levies estimated for the heirs.
The next emerging peasant class was that of the Kötter (cottagers), who were further distinguished among themselves as "Erbkötter" (hereditary cottagers) or "Pferdekötter" (horse cottagers) and Markkötter (common pasture cottagers). The hereditary cottagers, in contrast to the common cottagers, were probably also called horse cottagers because only they could still afford the expensive horses as draft animals. Cottagers had only limited rights to the common land. The hereditary cottagers were taxed approximately like a half-heir, while the common cottagers paid about 19% of the tax share of a full heir.
By around 1500 at the latest, the establishment of the farms of the "Brinksitzer (later also called "Eigner" (Brinksitter) was also complete. Their farmyard was usually no longer located within the village itself, but on the "brink" outside a village - hence their name - and consisted of arable and pasture land that had been left to them or sold by the old Vollerben. Draft animals like horses or oxen were not owned by the Brinksitters, and their cultivated areas were usually so small that they often ran a trade alongside farming. This trend is also reflected in the naming conventions; Typical names of Brinksitters are Schomaker (shoemaker), Rademacher (cooper), Schnieder (tailor), or Schmidt (smith). Brinksitzer were taxed like Kötter without a horse. The Brinksitzer did not possess common land rights.
After the differentiation of peasant farms into heirs, cottagers, and Brinksitzer was completed by around 1500, all other individuals interested in agriculture and animal husbandry, or forced by lack of alternatives, were left with only the option to lease a plot from the already existing farms. The emerging class of "Heuerleute" (farmhands) found themselves in a meager hybrid form between independent farming and agricultural labor. Initially, these Heuerleute seem to have lived in vacant small houses, built for the farmers, who had handed over the property to the next generation (these riterement houses where called Leibzuchten) of a farm, in granaries, or in the "Backhäuser" (bakeries), which were usually located a bit away from the farm due to the fire hazard, which is why they also appear in the tax lists as "Leibzüchter" and "Backhäusler". Later, large farms built their own "Heuerhouses" for the farmhands. In return for the farmhands being provided with accommodation with an attached stable for their livestock and a small plot of land, they had to work a contractually agreed number of days on the farmer's fields. Through additional work, there was indeed still the possibility of earning extra income; however, the "Heuermann" was also relatively dependent on the farmer, as lease-contracts were often only concluded for one year and repeatedly extended. The proverb "When the farmer whistles, the "Heuermann" must jump" illustrates this dilemma. When the division and allodification of the common pasures in the 19th century also eliminated the possibility of driving one's own cattle to pasture with the farmer's, the decline of the "Heuerleute" had arrived. Many farm laborers sought new economic prospects by emigrating to the neighboring Netherlands, the USA, or they moved to the burgeoning cities of the Ruhr area to find work there.